Lohnenswerte Doppelbelastung – Von arbeitenden Studierenden in Potsdam 2022

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Doppelbelastung
Campus Neues Palais Potsdam

WISSENSWERTES Mehr als die Hälfte aller deutschen Studenten jobbt neben dem Studium. Dies bringt mehr als nur finanzielle Vorteile mit sich. Die Doppelbelastung auf die meist in Vollzeit studierenden jungen Menschen ist enorm – doch nicht unmöglich durchzuhalten. 

Potsdam. 55 Stunden. Über anderthalb Jahre ist das die Zeit, die Tom* in einer durchschnittlichen Woche mit Studieren und Arbeiten verbringt. „Ich war jeden Tag gefühlt von sieben bis 23 Uhr beschäftigt“, erzählt der 24-Jährige heute in einem Interview. Seit dem zweiten Semester jobbt er neben seinem Studium, ob als Kellner oder Werkstudent. Jetzt hat er seinen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftsinformatik in der Tasche. Er will gerade sein Masterstudium beginnen und – selbstverständlich – nebenbei arbeiten. Die Frage, wie Tom diese Doppelbelastung aushält, beantwortet er mit: „Man muss es einfach machen.“

Anmerkung: Dieser Artikel ist im Rahmen des Seminars „Journalistisches Schreiben“ an der Universität Potsdam entstanden. Für die Kurzporträts der drei genannten Personen habe ich vor Beginn des Seminars Kurzinterviews geführt. Ihre Namen* wurden nachträglich verändert.

Vollzeitjob versus Vollzeitstudium

Wer „in Vollzeit arbeitet“, meint meistens einen Arbeitsalltag mit 40 Stunden Arbeit. In der Woche. Das sind acht Stunden Arbeit am Tag, fünf Tage die Woche. Angelehnt daran ist auch der Begriff des „Vollzeitstudiums“. Hier verbringen Studenten etwa 40 Stunden pro Woche mit dem Studium. Oder anders formuliert: Das Studium wird zum Beruf.

Heutzutage sprechen die wenigsten Studierenden von Arbeitsstunden, wenn sie die für ihr Studium aufgebrachte Zeit beschreiben. An der Universität in Potsdam zählen allein die „Leistungspunkte“, wobei ein Leistungspunkt etwa 25 bis 30 Arbeitsstunden beinhaltet. Für ein reguläres Vollzeitstudium müssen Studenten 30 Leistungspunkte im Semester abarbeiten. Dies entspricht 900 Arbeitsstunden in einem halben Jahr. So kommen während der Vorlesungszeit nicht selten neun Arbeitsstunden am Tag an sechs Tagen in der Woche zusammen. Also deutlich mehr als bei einem 40-Stunden-Job. Trotzdem jobbt mehr als die Hälfte aller deutschen Studenten. Aber muss man sich diesen Stress überhaupt antun? Geht es nicht auch ohne Nebenjob?

Lea* ist 19 Jahre alt und studiert in ihrem dritten Semester Deutsch Lehramt in Potsdam. Sie übt keine zusätzliche Arbeit aus. Mit ihrem Bafög, der finanziellen Ausbildungsförderung des Deutschen Staates, und der Unterstützung ihrer Eltern kommt sie gut klar. „Ich bin nicht in finanziellen Nöten“, sagt sie. Einen anderen Grund, jobben zu gehen, sieht sie nicht. Eine glückliche Situation für die Studentin, die sich somit voll auf ihr Studium konzentrieren kann.

 „Ich hätte Angst, dass mein Studium darunter leidet.“ Damit spricht sie ein ernstzunehmendes Problem arbeitender Studierender an. Und erzählt von einer Kommilitonin, die mit ihr studiert. Diese arbeite in den Semesterferien und am Wochenende immer so viel, dass sie unter der Woche genug Zeit für alle Vorlesungen und Seminare habe. Für sich selbst kann sich Lea diese Art von Arbeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorstellen.

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Über Anforderungen für einen zukünftigen Arbeitsplatz hat sie sich trotzdem schon Gedanken gemacht. Die Arbeit müsse sich dem Studium anpassen, nicht andersherum, steht für die 19-Jährige ganz klar im Vordergrund. Sie ist bereit, in Zukunft freie Nachmittage, Wochenenden oder die Semesterferien für einen Nebenjob zu nutzen. Das alles jedoch nur unter der Voraussetzung, dass ihr Studium keinen Schaden davon nimmt. Dazu müsse der Arbeitsplatz in der Nähe oder zumindest einfach und schnell erreichbar sein. Auch Homeoffice kommt für sie infrage. „Ich denke“, betont Lea, „dass die meisten Studenten erst in höheren Semestern arbeiten. Wenn sie dann richtig einschätzen können, wie sie ihr Studium trotzdem effektiv weiterführen können.“

Jobangebote für Studenten

Eine dieser Studierenden ist Elisa*. Die 22-jährige Chemiestudentin lernt bereits in ihrem dritten Jahr an der Universität Potsdam. Rund 16 Stunden die Woche arbeitet sie nebenbei als Werkstudentin im nahegelegenen Aldi. Das Konzept der Werkstudenten ist speziell für Studierende ausgelegt, die dem Studium weiterhin den Vorrang geben wollen. Hier sind sie fester Bestandteil eines Unternehmens, zahlen aber bis zu einer bestimmten Arbeitsstundenzahl keine Sozialversicherungsbeiträge. Ein Werkstudent hat somit die Möglichkeit, sich auf einfache und an das Studium angepasste Art und Weise etwas dazuzuverdienen.

Auch Elisa ist von diesem Konzept begeistert. Sie beschreibt ihre Arbeitsstätte als „sehr studentenfreundlich“. Regelmäßig frage ihr Arbeitgeber sie, ob die vereinbarten Arbeitszeiten auch in ihren Stundenplan passen. Im Durchschnitt arbeitet die 22-Jährige zwei- bis dreimal in der Woche und fünf bis acht Stunden pro Schicht. Klar sei das manchmal anstrengend, Regale einräumen und immer zu den Kunden freundlich sein. Aber Stress komme deswegen nicht bei ihr auf.

Discounter gehören in Potsdam neben Lieferdiensten, Restaurants, Lagerhallen und diversen städtischen Einrichtungen zu den häufigsten Arbeitsstätten von Studierenden. Oftmals werden hier kaum Vorkenntnisse benötigt, um erfolgreich in einen Nebenjob starten zu können. Wer trotzdem Schwierigkeiten hat, eine für sich passende Arbeit zu finden, kann die Jobvermittlung des Studentenwerks Potsdam nutzen. Hier suchen sie immer Büroassistenten, Babysitter, (Alten-)Pflegehelfer und diverse Aushilfen. Oder man probiert sich als Werkstudent in den Bereichen Marketing, Finanzen, Beratung, Produktmanagement und so weiter. Die Liste an Möglichkeiten ist lang.

Studierenden, die konkret für ihren Studiengang praktische Erfahrungen sammeln wollen, bietet sich die Möglichkeit, als studentische Hilfskraft zu arbeiten. Dabei ist der Student direkt an der Hochschule beschäftigt und wird im Allgemeinen nach Stundenanzahl bezahlt. Die Vorbereitung von Seminaren oder Assistenz bei Experimenten beziehungsweise Verwaltungsaufgaben bringt zudem viele Vorteile für das spätere Studenten- und Arbeitsleben mit sich. Nicht nur haben die Betriebe immer höhere Anforderungen an die Berufseinsteiger. Ein Nebenjob kann zudem auch die eigenen Kompetenzen sowie Teamfähigkeiten verbessern. Und letztendlich dem späteren Arbeitsweg vielleicht eine ganz neue Richtung zuweisen. Was sind meine Stärken und Schwächen? Was machen meine Kollegen, dass sie so erfolgreich sind? Kann ich mir wirklich vorstellen, hier mein ganzes Leben zu arbeiten?

Unabhängigkeit kann schwierig sein

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Für Elisa spielt noch ein weiterer Aspekt eine wichtige Rolle. Die Unabhängigkeit von ihren Eltern. Ihr Job bei Aldi sei ein großer Schritt zur Selbstständigkeit. So kann sie nicht nur ihre Wohnung und Lebensmittel selbst finanzieren, sondern muss auch bei anderen Ausgaben und Hobbys nicht immer auf ihre Eltern zurückgreifen. Die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks ergab für den durchschnittlichen Studierenden monatliche Ausgaben von rund 819 Euro. Dafür reicht ein Minijob bis 450 Euro im Monat bei Weitem nicht aus. Doch er kann neben der Bafög-Förderung des Staates und der Unterstützung durch die eigene Familie ein Meilenstein zu einem Stück mehr Selbstbestimmung sein.

Die Entscheidung, bereits ab dem zweiten Semester neben dem Bachelorstudium zu arbeiten, trifft Tom im Gegensatz zu Elisa vor allem aus fachlichen Gründen. Nach sechs Monaten Kellnern für zwölf Stunden in der Woche beginnt er eine einjährige Lehrstuhltätigkeit an der Universität. Wirklich Stress spürt der 24-Jährige aber erst als Werkstudent in der Digitalisierung. Über 18 Monate arbeitet er neben dem Studium 20 Stunden in der Woche. Das ist die Hälfte der Zeit, welche ein Vollzeitstudium zusätzlich zum Job einnimmt. „Man muss schon hart im Nehmen sein“, sagt Tom. „Man muss es durchziehen wollen.“ Immer wieder redet er von „commitment“ (Engagement oder Einsatzbereitschaft). Wer neben dem Studium arbeitet, dürfe keine innere Schwäche zeigen. Einfach machen.

Zu diesem Zeitpunkt setzt sich etwa ein Viertel von Toms Kommilitonen demselben Druck aus. Doch der Student weiß, dass nicht jeder dieser Belastung standhalten kann. Physisch oder psychisch. Oder beides. „Es heißt ja nicht umsonst Vollzeitstudium“, betont er, „also es ist hart, wirklich.“ Doch was ist die Alternative für solche, die auf dieses finanzielle Standbein angewiesen sind? Toms Antwort darauf: „Man studiert einfach länger.“

Heutzutage gilt die Regelstudienzeit von meist drei Jahren für den Bachelor keineswegs mehr als Regel. Durch die Coronapandemie seit dem Frühjahr 2020 und die damit verbundene Online-Lehre wurde Studierenden ein Semester mehr Regelstudienzeit zugesprochen. Zurecht: Nur die Allerwenigsten schaffen ihren Bachelor in drei Jahren. Und das nicht nur aufgrund eines Nebenjobs.

Die Doppelbelastung im Griff

Sich während des Studiums selbst zu organisieren, ist keineswegs einfach. Vorbereitung, Seminare und Vorlesungen, Nachbereitung, Prüfungsvorbereitungen. All das muss unter einen Hut gebracht werden mit alltäglichen Aufgaben und Erledigungen. Zumal ein wenig Freizeit auch übrigbleiben soll. Besonders in den unteren Semestern kann die Selbstständigkeit noch schwerfallen. Wie soll man da bitte gleichzeitig arbeiten und studieren? Wie bei fast jedem anderen Problem hat auch hier das Internet eine ganze Menge an Tipps parat. Ein schriftlicher Zeitplan mit genügend Puffern sei ein Muss. Module könnten gezielt geplant, verschoben oder weggelassen werden. Arbeitszeiten würden angepasst werden.

Aber Achtung! Gesundheit geht immer vor. Im Notfall können Studenten immer noch den Job oder das Studium wechseln. Es ist also alles möglich. Auch ein Vollzeitstudium lässt sich mit einem oft vielseitig nützlichen Studentenjob verknüpfen.  Wenn Studierender genug Durchhaltevermögen und eine gute Planung mitbringt. Ob ein Job neben dem Studium den Rahmen des eigens Möglichen letztendlich sprengt, muss aber jeder für sich selbst entscheiden.

Tom wird auch während seines Masterstudiums an der TH Brandenburg einen Nebenjob ausüben. Trotz all des Stresses bereut er seine Entscheidungen nicht. Seine Intentionen haben sich allerdings verändert. Nun, mit genug Erfahrung und einem Bachelorabschluss, sei der Druck auf ihn durch die selbstgewählte Doppelbelastung nicht mehr ganz so groß. „Ich arbeite, dass ich meinen [jetzigen] Lebensstandard finanzieren kann.“

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Mein Fazit nach dieser kleinen Recherche: Es lohnt sich, über einen Job neben dem Studium nachzudenken. Doch nicht jeder ist dafür gemacht. Manchmal fehlt schlicht und einfach Zeit.

Quellen

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