Unisemester 3 & 4 – Wenn die (Compton-)Wellenlänge stimmt

Lesedauer: 22 Minuten

Glücklich ins neue Unisemester!

LEBENSSTORYS Zwei weitere Unisemester sind geschafft. Und ich habe nicht nur unglaubliche physikalische Phänomene kennengelernt, sondern auch verstanden, wofür ich all diese harte Arbeit auf mich nehme. Eine gute Study-Life-Balance zu finden ist nicht einfach, doch zum Glück sind wir in diesem Studium nicht allein und finden immer jemanden auf der gleichen Wellenlänge.

Aus irgendeinem Grund ist es so, dass die Zeit, je älter man wird, immer schneller vergeht. Woche um Woche, gefüllt mit so vielen Aufgaben und Zielen, zog vorbei und so wurde es Weihnachten, Ostern, Sommer. Und jetzt? Jetzt ist der Sommer 2023 fast vorbei und ich komme nach einem Jahr Unialltag wieder dazu, einen Artikel für meinen geliebten Blog zu schreiben. Ich stehe jetzt am Ende des vierten Semesters und habe somit die Hälfte meines Bachelors geschafft.

Ich habe wahnsinnig viel gelernt und so viele Erfahrungen gemacht, dass ich sie hier kaum alle einzeln nennen kann. Aber ich kann es versuchen. Und ich beginne am Anfang. Am Anfang von Unisemester 3. Nach einem Jahr Uni dachte ich, ich wüsste, wie es läuft. Wie ich am effektivsten lerne und aus meinem Studentenleben das Beste herausholen kann.

Und tatsächlich: MaPhy III (Mathe für Physiker 3) lief so ab, wie ich es schon kannte. Stundenlanges Knobeln über Aufgaben, halbwegs Mitkommen in der Vorlesung. Das war normal. ExPhy III (Experimentalphysik 3) war da schon spannender, zumindest was die Themen anging: Quantenphysik und Thermodynamik. Endlich mal weg von den Schulstandards über Elektrodynamik und Mechanik. Nur das Grundpraktikum Teil 2 fiel mal wieder aus dem Rahmen: neuer Laborpartner, umfangreichere Versuche, ständiger Druck. Ich wusste schon am Anfang, auch dieses Wintersemester würde mich viele Nerven kosten.

Alleinkampftechniken – für jedes Modul eine andere

Ich denke oft darüber nach, wie wohl andere Studenten ihren Alltag strukturieren. Ich selbst saß fast jeden Tag bis zu 6 Stunden vor meinem Laptop und quälte mich durch alle Aufgaben. Besonders MaPhy-Aufgaben haben es nämlich in sich. Ich bin kein Mathegenie und muss mir alle Techniken und Tricks mit viel Geduld selbst aneignen. Das ist nicht wie in der Schule, wo man pro Rechenweg im Mathebuch mindestens zwei Beispielaufgaben vorgerechnet bekommt.

Hier wird einmal die Theorie in komplizierter mathematischer Sprache erzählt, die man dann zunächst ins Hochdeutsche übersetzen und verstehen muss und dann kriegt man Aufgaben gestellt nach dem Motto: Denkt selber nach, wie man das machen muss. Versteht mich nicht falsch, ich will mich nicht beschweren, keineswegs! Schließlich sind wir an der Universität und sollen auch das logische Denken und selbstständige Erarbeiten von Lösungswegen erlernen.

Physikbücher
Ein paar meiner Physikbücher

Es ist nur schwer, sich abends bei trübem, kaltem Wetter noch mehrere Stunden mit Aufgaben zu beschäftigen, von denen man hofft, sie innerhalb der nächsten fünf Tage hoffentlich lösen zu können. Denn jede Woche mussten wir unsere Lösungen abgeben. Ich selbst hatte ein paar Leute, mit denen ich zusammen abgab, doch wir waren leider keine wirkliche Lerngruppe. Wir schickten uns zwar Lösungen zu, doch durcharbeiten musste ich sie im Alleingang. Es war verflucht mit meinen sozialen Kontakten. Denn wie in der Schule damals hatte ich inmitten all meines Ehrgeizes irgendwie verpasst, unter meinen Kommilitonen richtige Freunde zu finden.

Dieser Umstand brachte mich aber wiederum dazu, noch intensiver meine Lernziele zu verfolgen. Für MaPhy zum Beispiel hatte ich mir einen guten Wochenplan ausgearbeitet: Alle Skripte wurden vor der jeweiligen Vorlesung abgeschrieben (das waren insgesamt etwa 90 Seiten für ein Semester). So hatte ich von allen Themen schon einmal gehört und einen groben Überblick über das, was mich erwartete. In den Vorlesungen selbst wurden fleißig alle Tafelnotizen mitgeschrieben, damit ich danach alle Inhalte für mich bestmöglich aufarbeiten konnte.

Wenn auch dies erledigt war, konnte ich mich endlich den Übungsaufgaben widmen. Manchen sah ich von Anfang an ihren Rechenweg an, andere mussten tagelang angestarrt werden und ergeben letztendlich immer noch wenig Sinn. Doch dafür gab es Übungen, in denen alle Aufgaben einzeln durchgesprochen wurden. Ich verpasste im gesamten Semester keine einzige dieser Veranstaltungen.

ExPhy gestaltete sich ähnlich, wenn nicht ganz so kompliziert. Obwohl: Hatte nicht einmal jemand gesagt, dass jeder, der glaubte, Quantenmechanik verstanden zu haben, nichts verstanden hatte? Wie auch immer. Quantenmechanik ist so eine Welt für sich. Es gab einige Themen, über die hatte ich schon viel gelesen, und so war ich zuversichtlich gut mitzukommen. Irgendwann kam dann die Schrödingergleichung und meine Zuversicht schwand. Doch ich gab nicht auf.

Hartnäckig arbeitete ich mich in meinem stillen Kämmerlein – wie mein alter Physiklehrer jetzt gesagt hätte – durch die Themen. Ich wusste, es war nicht schlimm, Dinge nicht gleich beim ersten oder zweiten Mal Durchlesen zu verstehen. Die Professoren selbst behaupten noch heute, es hätte sie Jahre gebraucht, durch wirklich alle Themenbereiche durchzublicken. Doch ich machte langsam Fortschritte. Und meine mittlerweile vier verschiedenen Physikbücher halfen mir dabei.

Better together?

Experimente
optische Experimente

Ich war schon immer eine ruhige Schülerin gewesen. Ich mochte es nicht, mich oft zu melden und Fragen zu beantworten oder gar eigene Fragen zu stellen. Doch der Übungsleiter, den wir in diesem Semester hatten, schaffte es immer wieder, mein Interesse zu wecken und ich stellte mehr als eine Nachfrage. In dieser Übungsgruppe fühlte ich mich wahnsinnig wohl und ich lernte so viel aus den Diskussionen, die meine Kommilitonen führten.

Ein weiteres Mal fragte ich mich, ob es nicht besser war, sich auch eine solche Diskussions- und Lerngruppe zu suchen, doch ich konnte mich noch nicht dazu überwinden, auf die anderen zuzugehen. Es schien, als hätten sich alle schon in ihren Gruppen zusammengefunden und ich passte da nicht rein. Ich sollte wirklich an meinen sozialen Fähigkeiten arbeiten! Tatsächlich ergab sich auch bald eine Gelegenheit dazu: Für unser Laborpraktikum mussten wir in Zweierteams arbeiten. Da ich bis jetzt alleine dastand, war ich gezwungen, mich mit jemanden zusammenzutun. Ich fragte also in die WhatsApp-Gruppe unseres Jahrgangs, wer noch keinen Praktikumspartner hätte und so stieß ich auf Marc.

Ich wusste nicht, was ich von ihm erwarten sollte, schließlich kannte ich ihn gar nicht. Zumal ich viel von meinem Laborpartner verlangte, denn ich wollte ja in den Versuchen, welche in diesem Jahr bewertet wurden, gut abschneiden. Doch unsere Zusammenarbeit klappte erstaunlich gut. Ich gab den Ton an, ließ mich aber auch von Marc inspirieren und so profitierten wir beide von der Situation. Ich freute mich auf die Labortage und auf das Schreiben der Berichte, auch wenn es immer viel Arbeit verursachte, wirklich den ganzen physikalischen Hintergrund, die Durchführung und die Ergebnisse unserer Experimente zu verschriftlichen.

Ich glaube trotzdem nicht, dass ich die beste Experimentatorin werde. Ich war mir ja schon unsicher, die einfachsten Geräte zu bedienen. So traf es mich besonders, als ich genau das in dem Modul „Moderne Messtechnik“ tun musste. Ich hatte eigentlich ein anderes Modul wählen wollen, doch nach einer Vorlesung wusste ich genau, dass mich das Programmieren in diesem anderen Kurs überfordern würde und so blieb mir nichts anderes übrig, als mich stattdessen in der modernen Messtechnik dem Bedienen des ELVIS Experimentierboards zu widmen.

Meine Lichtschranken
Meine Lichtschranken-Konstruktion

Zum Glück hatte ich während der ersten Wochen einen anderen Kommilitonen zur Unterstützung, der sich zumindest schon etwas besser mit dem Gerät auskannte. Ich beobachtete und saugte all dieses Wissen in mich auf. Das war auch richtig so, denn als es daran ging, dass wir ein eigenes Messtechnik-Projekt entwickeln und durchführen mussten, verließ mich mein Experimentierpartner und ich musste mich erneut allein durch die Höhen und Tiefen der Technik kämpfen.

Zu meiner Überraschung lief alles gut. Ich entschied mich, zwei Lichtschranken zu bauen und mithilfe des grafischen Programmierprogramms „LabView“ einen Personenzähler zu konstruieren. Die Konstruktion selbst war schnell aufgebaut, nur das Programmieren selbst kostete mich Nerven und Zeit. Jede Woche holte ich mir einmal den Schlüssel zum Experimentierraum und bastelte in Eigenarbeit an meinem Projekt. Es zahlte sich aus: Ich brachte das Programm zum Laufen und so war nicht nur ich, sondern auch einer meiner Betreuer sichtlich stolz auf mich. Es wäre sicherlich schöner gewesen, mich mit einem Partner austauschen zu können, doch wie schon so oft zuvor überraschte ich mich wieder einmal selbst damit, dass ich scheinbar riesige Probleme auch ganz allein bewältigen konnte.

Der Stresspegel steigt

So verflogen die Tage und Wochen und es wurde Weihnachten. Weihnachtsvorbereitungen mischten sich mit Klausurvorbereitungen und 2023 kam. Dieses Mal hatte ich mir keine Neujahrsvorsätze ausgedacht. Wenn man sich wirklich Ziele setzen will, kann man das auch zu jeder anderen Zeit im Jahr machen. Und dass ich bestmöglich in meinen Klausuren abschneiden wollte, das war sowieso schon immer mein Ziel gewesen. Zum Glück hatte ich nur eine Klausur in MaPhy. In ExPhy würde es am Ende von Semester vier eine mündliche Prüfung geben und sonst musste ich nur noch meinen Projektbericht über die Lichtschranken schreiben. Viel zu tun war das trotzdem und so machte ich mich natürlich sofort an die Arbeit.

Winter in Potsdam
Winter in Potsdam

Für die Matheklausur hatte ich bereits vor Weihnachten mit der Klausurvorbereitung begonnen. Wie immer schrieb ich meinen Spickzettel und brachte dabei alle möglichen Details aus dem Skript auf das erlaubte A4-Blatt. So machte ich mir selbst einen Überblick über die Themen und war während der Prüfung auf alles vorbereitet. Über die letzten Vorlesungswochen schrieb ich bereits zusätzlich an meinem Bericht, den wir bis Anfang März abgeben mussten. Es machte Spaß, neben dem ganzen Rechnen auch etwas schreiben zu dürfen, zumal ich ja etwas eigens von mir Produziertes vorstellen durfte.

Die Semesterferien hatten ihren Namen eigentlich nicht verdient, denn die ersten zwei Wochen waren komplett mit Mathe verplant. Obwohl ich zuhause war, konnte ich an nichts anderes als Uni denken. Das Ironische dabei: Ich war so in die Prüfungsvorbereitung vertieft, dass ich verpasste, mich für die Matheklausur anzumelden. Genau einen Tag nach Ablauf der Anmeldefrist bemerkte ich meinen Fehler und ärgerte mich zu Tode. Das bedeutete, dass ich die Klausur zum Zweittermin Mitte April würde schreiben müssen. Und ich die ganzen Ferien diesen Gedanken mit mir herumtragen würde.

Unbewusst baute sich in mir eine innere Anspannung auf. Ich beschloss, die Klausurvorbereitung trotzdem wie geplant abzuschließen. Danach beendete ich den Projektbericht und gab ihn ein paar Wochen vor Abgabeschluss ab. Jetzt musste ich nur noch die ganze Physik aus Semester drei für die Probeprüfung Mitte März auswendig … Und mein Stresslevel stieg langsam, aber stetig an. Drei oder vier Wochen lang bastelte ich mir für ExPhy III Lernkarten und lernte sie größtenteils auswendig. Es war wahnsinnig anstrengend, doch ich hatte mir vorgenommen, in der uns angebotenen mündlichen Probeprüfung möglichst gut abzuschneiden.

Als es so weit war, lief alles irgendwie anders ab als gedacht. Ich verhedderte mich in mein Thema und wusste am Ende gar nicht mehr, was der Prüfer von mir wollte. Während ich bei den Probeprüfungen der anderen fast alle Fragen hätte beantworten können. Doch es war, wie es war. Ich war sehr enttäuscht, als man mir mitteilte, dass ich für diese Prüfung eine 2,7 bekommen hätte, doch ich versuchte, positiv zu bleiben. Ja, ich hatte gefühlt umsonst so viel Arbeit und Nerven in diese Vorbereitung gesteckt. Doch ich hatte auch wahnsinnig viel gelernt und wusste nun, was ich beim nächsten Mal besser machen konnte.

Urlaub verdient!

Endlich in Kenia!
Eintauchen in eine andere Welt

Jetzt, wo ich den Großteil Uni hinter mir hatte, fiel es mir schwer abzuschalten. Noch immer machte ich mir viel zu viel Druck. Wie schafften das meine Kommilitonen nur mit dem Stress? Mit gemischten Gefühlen stieg ich am 19.03. in den Flieger nach Mombasa. In diesem Jahr flog ich mit meinen Eltern und guten Freunden nach Kenia. Das war schon immer mein Wunsch gewesen. Ich hatte so viel über dieses Land gelesen und konnte es kaum erwarten, Afrika mit eigenen Augen kennenzulernen. Auf dem Flug kreisten meine Uni-Gedanken noch in meinem Kopf. Doch als der Flieger auf der Landebahn aufsetzte, fiel alle Anspannung plötzlich von mir ab und ich fühlte mich leicht.

Unglaublich, wie viel Stress ich in den letzten Monaten wieder auf mich aufgeladen hatte! Nun war es Zeit zu leben und zu erleben. Kenia ist ein unbeschreiblich schönes Land. Niemand wird mir je die Bilder nehmen können, die sich in meinen Kopf eingebrannt haben. Wenn eine ganze Elefantenfamilie am Wasserloch Erfrischung sucht. Wenn bei Sonnenaufgang eine riesige Büffelherde den Weg versperrt. Wenn zwei Löwenmännchen wie Babykatzen auf dem Rücken liegen und den Safariwagen vollkommen ignorieren. Diese Welt ist so anders von der, die wir kennen. Und das liegt nicht nur am grellroten Sand, an den beeindruckenden Tieren und dem ungewohnten Klima.

Es liegt vor allem an den Menschen. Die Armut der Einwohner konnte einem das Herz zerreißen. Ebenso wie unsere Unfähigkeit, diesen Menschen zu helfen. Ich knüpfte Kontakte zu den Animateuren unseres Strandhotels, spielte mit ihnen Volleyball und Boccia, tanzte durch die Nächte und fand gute Freunde. Sie hatten es nicht leicht, denn sie verdienten kaum Geld, doch sie machten das Beste aus ihrer Situation und strahlten dabei so viel Lebensfreude aus, dass man gar nicht anders konnte als glücklich zu sein. Sie zeigten uns die naheliegende Stadt, die Schule, den Markt, die verschmutzten Wohnhäuser.

Büffel
Sonnenaufgang in Kenia

Es war gefährlich, dort als Weißer herumzulaufen, denn nicht umsonst bauten die reichen Kenianer um ihre Grundstücke erst einen Zaun und dann das Haus. Doch ich fühlte mich beschützt durch unsere Begleiter und bekam so die einmalige Gelegenheit, Seiten von Kenia kennenzulernen, die sonst nur wenige Weiße zu Gesicht bekamen. Ich tat genau das, wonach ich mich sehnte und lernte die Welt ein kleines bisschen besser kennen. Dabei konnte ich ganz ich selbst sein.

Ich feierte meinen 20. Geburtstag in Kenia und als ich gefragt wurde, was ich mir fürs neue Lebensjahr wünsche, war meine Antwort: Ich wolle endlich mehr Kontakte knüpfen und mich weniger in Uniaufgaben vergraben. Denn genau das hatte ich im dritten Semester wieder getan. Mir war klar geworden, dass Leistungen nicht das Wichtigste waren, denn sie machten eine Person nicht aus. Viel mehr waren es die Kontakte zu anderen Menschen, die das eigene Leben bereichern konnten. Ja, ich konnte Probleme auch allein lösen und es war wichtig, dies zu üben. Doch zusammen machte es mehr Spaß.

Neues Unisemester: Neue Hürden …

Bevor ich mich allerdings diesem Vorhaben, meine Kontaktliste zu erweitern, widmen konnte, musste ich zunächst wieder in der Realität ankommen und wohl oder übel die Matheklausur hinter mich bringen. Zudem hatte ich Probleme mit meiner Stundenplan-Planung. Es war der Moment gekommen, dass ich das aufgeschobene ThePhy-Modul nachholen musste. Doch leider war dieses Bachelor-Studium so ungünstig aufgebaut, dass sich der ThePhy-Kurs mit zwei anderen Modulen komplett überschnitten hätte.

Ich musste ihn also zwangsläufig wieder um ein Jahr verschieben. Ich hatte zwar durch die zwei Semester, die ich sowieso verlängern wollte, ein wenig Spielraum, doch so lange wurde es eng. Aber wäre es einfach, wäre ich ja auch nicht an der Uni … Ich überstand die MaPhy-Klausur und startete mit einem guten Gefühl in die Vorlesungswochen. Zwei Wochen später erhielt ich mein Prüfungsergebnis: 2,0. Damit war ich mehr als zufrieden.

Spiegelselfie
Spiegelselfies

Doch auch wenn jetzt Sommersemester war und die im Allgemeinen leichter zu bewältigen waren, ließ die nächste Hürde nicht lang auf sich warten. Jetzt mussten wir nämlich für unser Grundpraktikum plötzlich Vierergruppen bilden, innerhalb derer wir ein neues Projekt ausarbeiten sollten. Ein weiteres Mal versagten meine sozialen Kompetenzen. Es schien, als hätten alle Gruppen sich schon gefunden. Übrig blieben mein früherer Laborpartner Marc, ein Freund von ihm und ich. Die einzige Dreiergruppe, cool! Oder doch nicht? Ich hatte in diesem Moment keine Ahnung, was auf mich zukam, doch ich sah es als Chance, individueller arbeiten zu können.

Zu früh gefreut, denn Laborpartner Nummer 2 entpuppte sich als absolut keine Hilfe. Marc und ich machten also zu zweit die Gruppenarbeit von vier Leuten. Und es war eine Menge Arbeit. Die ersten vier Wochen war das Praktikum meine Hauptbeschäftigung, denn nachdem ich auf meinen Lichtschranken-Bericht 91 von 100 Punkten bekommen hatte, wollte ich unbedingt auch bei den Praktikumsberichten gut abschneiden und mir so eine 1,3 in dem zusammengesetzten Modul sichern

Ich gelangte wieder viel zu schnell an meine Belastungsgrenze, doch mein Ehrgeiz zahlte sich ein weiteres Mal aus und ich stellte vier von insgesamt acht Praktikumsberichten zur vollen Zufriedenheit unserer Betreuerin fertig. Jetzt konnten meine Laborpartner machen, was sie wollten. Ich hatte meine 1,3 sicher und war sehr stolz auf mich. Nun konnte ich mich wieder mehr auf MaPhy und ExPhy konzentrieren und das hatte ich auch bitter nötig. Denn die Inhalte wurden von Semester zu Semester schwieriger. Stochastik, die wir jetzt in MaPhy durchnahmen, hatte eine ganz andere Notation und in die musste man sich mühsam einarbeiten.

Aber auch Atomphysik wurde sehr anstrengend. Wer noch nie etwas vom normalen und anomalen Zeeman-Effekt und vom Kern-Zeeman-Effekt gehört hatte, stand in den Vorlesungen sehr oft auf dem Schlauch. Und dazu kamen ja noch Feinstruktur- und Hyperfeinstruktur-Effekte. Hilfe! Zugegeben, diese Themen stellten sich im Nachhinein als sehr spannend heraus, zumindest wenn man akzeptierte, dass ab einem gewissen Punkt jegliche Vorstellungskraft für physikalische Phänomene versagt, aber die seltsam anmutenden Theorien (wahrscheinlich) trotzdem gelten.

PS: Würde es sich lohnen, Artikel über spannende physikalische Phänomene zu veröffentlichen?

… und neue Freunde

Campus Golm
Campus Golm

Ich verbrachte viel Zeit draußen auf der kleinen Campuswiese und bekam dafür oftmals interessierte Blicke, egal ob ich lernte, las oder mich dehnte. Wobei ich tatsächlich die meiste Zeit lernte und zusätzlich zu meinen eigentlichen Uniaufgaben meine Lernkarten aus dem dritten Semester wiederholte. Denn wenn ich den Stoff aus dem dritten Semester bereits beherrschte, musste ich für die mündliche Prüfung nur noch alles aus dem vierten Semester auswendig lernen …

Natürlich ist es schwer, bei so viel Arbeitsaufwand, der niemals weniger wird, immer positiv zu bleiben. Denn auch wenn ich auf diesem Blog versuche, die positiven Aspekte des Lernens herauszuheben, gab es auch bei mir immer wieder Phasen, in denen es mir psychisch nicht gut ging. Ich bin schließlich keine Maschine, sondern ein Mensch. Geholfen haben mir dann meine Hochschulsportkurse – Modern Jazz Dance und Volleyball. Hier habe ich erstaunlich viele nette Leute kennengelernt. Besonders während des Volleyball-Trainings war ich immer wieder von mir selbst überrascht, wie offen ich doch im Umgang mit anderen sein konnte. Warum gelang mir das in der Uni selbst so schlecht?

Ich fand einen guten Freund und kam mit mehr Leuten ins Gespräch, als ich wahrscheinlich in meinem gesamten Unileben bis jetzt angesprochen hatte. Die Freude auf diese wöchentlichen Ereignisse trieb meine Motivation an und ließ mich konzentrierter lernen, wenn ich denn lernte. Es war ein schwieriger, langsamer Prozess, doch es gelang mir mit den Wochen immer besser, mir selbst Pausen zu erlauben und diese mit schönen Dingen zu füllen.

Der Goldene Käfig
Unser Goldener Käfig

Die für mich schönste Ablenkung sind dabei Institutsfeste. Ich erinnere mich noch genau an das Mathe-Institutsfest Anfang Juli. Es fing seltsam an, denn meine Freundin (die eigentlich gar kein Mathe mehr studierte) und ich fanden keinen Anschluss. Bis auf meinen Matheprofessor sah ich kaum bekannte Gesichter. Erst, als wir für längere Zeit vor dem Grill standen, wurde ich von einem Typen, nett, aber mir vollkommen unbekannt, angesprochen. Wir kamen ins Gespräch und plötzlich waren wir mittedrin bei den Matheleuten. Wir spielten Flunkyball (mit Spezi, nicht Bier) und halfen sogar beim Aufräumen, weil wir dabei so nette Gesellschaft hatten.

Zu dritt schoben wir einen Einkaufswagen, beladen mit unmöglich großen Platten, und hatten dabei wahnsinnig viel Spaß. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Meine beiden Einkaufswagenschieber sollten beide gute Freunde von mir werden. So begannen vier letzte Vorlesungswochen voller Abenteuer. Ich besuchte das Klitschnass-Festival vom Hochschulsport und ging auf das Physik-Institutsfest, das im Innenhof unseres hübschen Physikgebäudes (liebevoll „Goldener Käfig“ genannt) stattfand.

Stundenlang erzählte ich mit Erik, den ich vor einer Woche beim Mathefest kennengelernt hatte und fand mich plötzlich in einer kleinen Sechsergruppe wieder, wie wir – mit einem Volleyball bewaffnet – das nächste freie Spielfeld suchten. Es wurde ein lustiger Abend, dem weitere Volleyballabende folgten. Erik, Alex und ich waren ein gutes Dreierteam – nicht nur beim Einkaufswagenschieben, sondern auch beim gemeinsamen Volleyballspiel. Den einen Abend saßen wir über eine Stunde unter einem Vordach fest, während wir darauf warteten, dass der Regen endlich nachlassen würde. So erstand eine interessante Gruppenkonstellation, wie sie nur der Zufall selbst hatte erschaffen können. Und ich war glücklich.

Wofür lernen wir? oder: Wenn sich Lernen auszahlt

Spaniens Labyrinth
Verlaufen in Spanien

Gleich zu Beginn der Semesterferien flog ich mit meiner besten Freundin für zwei Wochen in den Urlaub nach Spanien. Mit einem Mietwagen durchkämmten wir Andalusien und lernten dabei nicht nur Spanien, sondern auch uns gegenseitig auf eine ganz neue Art und Weise kennen. Ich genoss meinen ersten Urlaub ohne Eltern, doch die Angst vor den kommenden Wochen wollte nicht ganz verschwinden. Zurück zuhause ging das Chaos dann auch weiter. Ich hatte 3 Wochen, um mich auf die bevorstehende MaPhy-Klausur und die mündliche ExPhy-Prüfung vorzubereiten. Und es gab noch so viel zu tun!

Jeden Tag lernte ich mindestens 5 Stunden. Das war gar nicht so einfach durchzuhalten, wo es doch zuhause so viele andere Sachen gab, die man gerne tun würde. Jetzt zahlte sich meine intensive Vor-Vorbereitung während der letzten Semesterwochen aus. Nachdem ich meinen Spickzettel für MaPhy fertig hatte, konnte ich in aller Ruhe alle möglichen Übungsaufgaben durchrechnen. Wobei „in aller Ruhe“ wieder relativ zu verstehen ist. Denn parallel musste ich ja insgesamt mehr als 200 Physik-Lernkarten produzieren und auswendig lernen!

Oft zweifelte ich daran, alles rechtzeitig zu schaffen. Doch der Arbeitsaufwand sollte nicht mein größtes Problem bleiben. Genau einen Tag vor der MaPhy-Prüfung wurde ich krank. 6 Monate hatte ich mich mit höchster Konzentration auf diesen Tag vorbereitet und dann das. Zum Glück verstreuten sich meine Zweifel im Wind. Ich konnte mit ausreichender Konzentration die Klausur schreiben und habe soeben mein Klausurergebnis erfahren. Ich bin mehr als zufrieden!

Lernkarten
Über 200 Lernkarten in meinem Kopf …

Mit Husten widmete ich mich gleich am nächsten Tag der intensiven Restvorbereitung auf meine erste mündliche Prüfung. Das war krank nicht so einfach, weil ich mir nichts selbst laut vorsprechen konnte, denn ich bin nicht nur ein visueller, sondern vor allem auch ein auditiver Lerner. Doch ich gab mein Bestes. Immerhin musste ich 45 Minuten lang über alle möglichen Themen aus Thermodynamik, Quanten-, Atom- und Teilchenphysik reden können. Und meine Note würde 18 von insgesamt 180 Leistungspunkten zählen! Zum Vergleich: Die MaPhy-Klausur kostete mich nur 6 Leistungspunkte.

Einen Tag vor der wichtigen Prüfung war meine Erkältung größtenteils überstanden und ich kannte mehr Formeln auswendig als je zuvor in meinem Leben. Ich fühlte, ich war bereit. Warum wollte dann nur diese blöde Aufregung nicht verschwinden? Meine Nervosität stieg ins scheinbar Unendliche, als ein Kommilitone, der kurz vor mir seine Prüfung absolviert hatte, von den schwierigen Fragen der zwei Prüfer berichtete. So war ich erleichtert, als endlich ich an der Reihe war. Jetzt würde ich es hinter mich bringen!

Ich redete 5 Minuten lang über den äußeren Photoeffekt und warum man von sichtbarem Licht keinen Sonnenbrand bekommen kann, bevor die eigentliche Fragerunde begann. Souverän beantwortete ich jede mir gestellte Frage und überraschte dabei immer wieder mit meinem auswendig gelernten Wissen. So kannte ich im Gegensatz zu meinem Professor den gerundeten Zahlenwert der Compton-Wellenlänge* und fiel nicht auf seine Fangfragen rein. Ich brauchte kaum Hilfe und fühlte mich im Gespräch mit meinen zwei Prüfern fast wohl.

* Die Compton-Wellenlänge ist eine für massebehaftete Teilchen charakteristische Größe. Für das Elektron beträgt sie rund 2,4*10^(-12) Meter.

Als ich dann das Ergebnis erfuhr, konnte ich es trotzdem kaum glauben: 1,0! Wahnsinn! Seelenruhig fragte mich mein Professor, ob ich denn wirklich von diesem guten Ergebnis überrascht wäre. Schließlich hätte ich mich ja so gut vorbereitet. Und ich antwortete ehrlich: Ja. Als Student ist es schwierig, Anerkennung für seine Arbeit zu bekommen, weswegen ich persönlich auch so viel Wert auf die Prüfungen lege. Ich weiß, das ist nicht die beste Einstellung, weil eine Prüfung immer nur eine Momentaufnahme des aktuellen Wissenstandes darstellt. Trotzdem ist es ein unglaubliches Gefühl, wenn sich stundenlanges Lernen endlich auszahlt.

Dafür habe ich schließlich die letzten Monate gelebt, oder nicht? Nein, korrigiere ich mich innerlich. Ich lebe, um zu leben und eine gute Zeit zu haben! Sich neues Wissen anzueignen ist ein großer Bestandteil davon, aber eben nicht alles. Das habe ich innerhalb des letzten Jahres gelernt. Jetzt zum Beispiel ist meine Aufgabe, mir noch ein paar wunderschöne Uni-freie Wochen zu machen. Um die Herausforderungen im fünften Semester kümmere ich mich dann später.

Auf in neue Abenteuer!

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