Lesedauer: 8 Minuten
ETHIK ERKLÄRT – TEIL 4
WISSENSWERTES Wie finden wir den Weg zum Glück? Sollen wir unserer Lust folgen? Oder doch lieber die „stoische Ruhe“ suchen? Diese Fragen haben die Philosophen der Antike auf unterschiedlichste Art und Weise beantwortet. Ihre Antworten finden sich in den sogenannten „Tugendethiken“.
Wofür leben wir, wenn nicht für ein erfülltes, glückliches Leben? Schon antike Philosophen wie Seneca, Epikur oder Aristoteles haben dies erkannt. Sie alle strebten nach eudaimonia (Eudämonie = guter Geist), also „Glückseligkeit“, einem „guten Leben“ bzw. dem „höchsten Gut“. Eudämonie galt als das Lebensziel des Menschen. Es war allumfassend und wurde nur um seiner selbst Willen angestrebt. Wie man Eudämonie nun erreichen konnte, darüber gab es verschiedene Theorien und diese werde ich im Folgenden näher vorstellen.
Tugendbegriff
Die Suche nach Glück wurde in der Antike als eine Suche nach der richtigen, dem Menschen gemäßen Art zu leben, aufgefasst. Die antiken Philosophen propagandierten eine Lebensweise, welche sich nach Tugenden ausrichtete. Eine Tugend bezeichnete allgemein das Ideal der (Selbst-)Erziehung zu einer sittlich vorbildlichen Persönlichkeit. Platon (427 – 347 v. Chr.) stellte vier (besonders wichtige) „Kardinaltugenden“ auf: Gerechtigkeit, Klugheit, Tapferkeit und Besonnenheit; welche vom Christentum um Glaube, Hoffnung und Liebe erweitert wurden. Ihnen gegenüber stehen die sieben „Laster“ (Todsünden), etwa Neid und Zorn. Außerdem gibt es die sog. „Sekundärtugenden“ wie Fleiß oder Disziplin. In der Ausübung eben solcher Tugenden lag nun der Weg zum Glück, weswegen man die antiken Glücksvorstellungen auch als Tugendethiken bezeichnet.
Aristoteles‘ Nikomachische Ethik
Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) unterschied einen vernunftlosen und einen vernunftbegabten Teil des Menschen. Zu Ersterem zählte er den vegetativen Lebensteil (Nahrung, Schlafen usw.), Zweiterer war „logos“, also die Vernunft selbst. Dazwischen gab es noch das sinnliche Streben, welches sowohl vernunftbegabte Teile als auch solche ohne Vernunft enthielt. Die eigentliche Funktion des Menschen war für Aristoteles aber der Verstand. Um Eudämonie zu erreichen, musste man den Verstand nutzen und seiner Bestimmung folgen, also die Tugend ausüben, die dem Verstand am besten lag. Dabei bezeichnete der Philosoph zwei Arten von Tugenden:
- dianoetische Tugenden/Verstandestugenden: Hierzu zählen Weisheit und Klugheit. Sie sind durch Belehrung über den Verstand erkennbar.
- ethische/sittliche Tugenden: Diese Tugenden umfassen zugleich sinnliches Streben und Vernunft und sollen durch Gewöhnung angeeignet werden. Die sog. „Mesotes-Lehre“ (griech. für Mitte) besagt, dass unser Handeln durch den „Habitus des Wählens der rechten Mitte“ bestimmt sein sollte. Dies macht eine Tugend in den Augen von Aristoteles zu einem Verhalten der Entscheidung, das durch Überlegung bestimmt wird. Beispiel: Statt feige oder tollkühn zu sein, sollte man ein angemessenes Maß an Tapferkeit an den Tag legen. Zu viel Sanftmut ist ebenso schlecht wie zu wenig Sanftmut etc.
Kurz: Nutze deinen Verstand, um für deine Handlungen „die rechte Mitte“ zu finden.
Der Hedonismus Epikurs (Epikureismus)
Der Epikureismus ist die von Epikur (341 – 270 v. Chr.) begründete Strömung des Hedonismus (hedoné = Lust). Während der ursprüngliche, von Aristippos von Kyrene (435 – 355 v. Chr.) ins Leben gerufene Hedonismus die Augenblickslust als Selbstzweck (kurzweilige Lust) anstrebt, handelt der Epikureist auf eine andauernde Lust in Form von „vollkommener Seelenruhe“ (Ataraxie) hin (ein Zustand zwischen Schmerz und eigentlicher Lust). Lust bezeichnet nach Epikur nicht sinnliche Freuden wie Spaß, sondern mehr die Abwesenheit von körperlichen und seelischen Schmerzen. Lust gilt als Anfang und Ende des seligen Lebens. Um sie zu erreichen, muss man seine Furcht vor Göttern, Schmerzen, unerfüllbaren Wünschen und dem Tod ablegen.
Epikur lebte ein zurückgezogenes Leben voll Selbstgenügsamkeit und Mäßigung und stand nicht gern im Vordergrund. Er pflegte Freundschaften, machte von der Vernunft Gebrauch und befreite sich von Leidenschaften. Anderen, welche dieselbe „Windstille der Seele“ erreichen wollten, riet der Philosoph:
„Für dies alles ist Anfang und das größte Gut Einsicht. Darum ist Einsicht sogar noch wertvoller als Philosophie. Aus ihr entspringen alle übrigen Tugenden, indem sie lehrt, dass ein lustvolles Leben nicht möglich ist ohne ein einsichtvolles, schönes und gerechtes, noch auch ein einsichtvolles, schönes und gerechtes ohne ein lustvolles. Denn die Tugenden sind mit dem lustvollen Leben von Natur verbunden, und das lustvolle Leben ist von ihnen untrennbar.“ (aus: www.epikur-journal.at)
Kurz: Entdecke die „Lust des Lebens“ in der Abwesenheit von aller Unruhe, jeglichen Schmerzen und Leidenschaften.
Stoizismus
Die wohl bekannteste antike Tugendethik ist der Stoizismus bzw. der Ausdruck „stoische Ruhe“. Auch Stoiker strebten nach Eudämonie, was in ihrem Fall einen gewissen inneren Frieden oder eine gewisse Seelenruhe bedeutete. Sie glaubten an eine Urkraft (bzw. einen Gott), welche die gesamte Welt determinierte oder anders ausgedrückt: sie glaubten an Schicksal und daran, dass die Seele nach dem Tod weiterlebt. Der Mensch verfügte dementsprechend über Willensfreiheit, diese aber diente wesentlich dazu, das vom Schicksal Bestimmte in ein freiwillig Getragenes umzuwandeln.
Auch diese Gruppe von Philosophen, zu der Seneca (? – 65 n. Chr.) und Marc Aurel (121 – 180 n. Chr.) gehörten, sah in der Vernunft die Funktion des Menschen. Mit ihrer Hilfe sollte man nun im Einklang mit der Natur leben, also ein Vernunftwesen ohne Leidenschaft sein, welches durch Logos (eine innere Macht, die Vernunft) gelenkt und an seinen vorbestimmten Platz gebracht wird.
Neben stoischen Tugenden wie Besonnenheit und Fairness praktizierten die Stoiker Autarkie (Selbstgenügsamkeit), Apathie (Leidenschaftslosigkeit, Freiheit von Affekten) und Ataraxie (Unerschütterlichkeit gegenüber Daseinswidrigkeiten). Voraussetzung dafür war die Autonomie, also die Unabhängigkeit von allen äußeren Zwängen und Bedürfnissen. So war der vorbildliche Stoiker ein Weltbürger, welcher sich – mit Vernunft und ohne Leidenschaften – in der Politik einsetzte und jede Art von Leid akzeptierte.
Kurz: Befreie dich von allen äußeren Einflüssen und folge deinem Schicksal.
Was du daraus mitnehmen kannst
All diese Theorien entstanden vor mehr als zweitausend Jahren und sind somit alles andere als aktuell. Doch das heißt nicht, dass wir nichts aus ihnen mitnehmen können. Ich selbst sehe in jeder einzelnen Tugendethik Anreize, die sich auch auf unsere heutige Suche nach dem Glück übertragen lassen.
- So muss ich bei der Frage nach der tugendhaften Handlung immer an Aristoteles‘ Lehre der Mitte denken. Wozu haben wir schließlich unseren Verstand, wenn wir ihn nicht dazu nutzen, das richtige Maß an Freundlichkeit an den Tag zu legen? Sicher, etwas Unvernunft tut auch manchmal gut und ein bisschen Spaß hat noch nie jemandem geschadet – vorausgesetzt, die Albernheit bleibt in einem gewissen Rahmen.
- Auch vom Stoizismus kann man sich eine Scheibe abschneiden. Zwar glaube ich nicht an Schicksal und bin überzeugt, dass man nicht jedes Leid kampflos hinnehmen sollte, doch andererseits gibt es auch Situationen, in denen ich mir die gepredigte „stoische Ruhe“ herbeiwünsche. Es gibt so viele Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben. Wieviel schöner wäre das Leben, wenn wir solche Ereignisse leichter akzeptieren könnten?
- Manchmal habe ich das Gefühl, die innere Zufriedenheit, die Epikur „Ataraxie“ nannte, zu spüren. Dazu brauche ich keine großartigen sinnlichen Freuden, sondern nur das Wissen, dass auch kleine Dinge das Leben so viel angenehmer machen können. Es sind Momente, in denen mir klar wird, dass ich gesund bin und so viele Menschen um mich habe, die mich lieben.
Dies sind nur ganz persönliche Gedanken zu den Tugendethiken und du musst mir keineswegs zustimmen. Ich möchte dich lediglich zum Nachdenken anregen … Vielleicht kannst auch du eine Inspiration für deinen Weg zum Glück finden.